Entgleisungen
9. Oktober 2012 um 17:45 Uhr
Bereits dreimal sind seit Juli am Stuttgarter Hauptbahnhof jetzt Personenzüge entgleist. Immer an derselben Stelle. Und angeblich will die Bahn bis heute nicht herausgefunden haben, woran es liegt.
Der erste Vorfall war am 24. Juli. Da entgleiste der Intercity 2312 nach Hamburg-Altona kurz hinter dem Hauptbahnhof, aus dem er gerade gekommen war. Etwa 100 Reisende mußten daraus evakuiert werden. Der Endhaltepunkt vieler Nahverkehrszüge mußte vor den Hauptbahnhof verlegt werden, einige Fernzüge wurden umgeleitet.
Am 29. September wiederholte sich das ganze — ironischerweise mit dem gleichen Zug: Intercity 2312 nach Hamburg-Altona. Kaum aus dem Hauptbahnhof heraus, sprang er aus den Gleisen. Dabei wurde die Oberleitung beschädigt und fiel auf den Zug, sodaß die etwa 200 Fahrgäste erst einmal abwarten mußten, bis sichergestellt war, daß keiner einen Stromschlag bekommt, bevor sie evakuiert werden konnten. Diesesmal gab es ein paar leicht Verletzte.
Und weil das alles noch nicht genügt, flog heute wieder ein Zug aus dem Gleis. Diesmal war es ein Test-Zug, mit dem die Unfall-Fahrten nachgestellt worden waren. Daher waren auch keine Reisenden betroffen, aber natürlich muß jetzt wieder repariert werden.
Reisenews weist darauf hin, daß in allen Fällen dieselbe Weiche betroffen war:
Der Unfall ereignete sich an derselben Stelle der Weiche, die erst vor zehn Tagen für einen Sprung aus den Schienen gesorgt hatte. Die Reparaturarbeiten an der Weiche bedürfen somit einer mehrtägigen Neuauflage.
Noch deutlicher wird der Kommentator „wolkenstrahl” beim Tagesspiegel:
Die Ursache ist Weiche 227. Wie schon bei dem Zug, der im Juli entgleiste. Eine Weiche, die erst vor kurzem im Zuge von S21 an dieser Stelle neu angebracht wurde. Eine NEUE Weiche. Die Ursache ist, dass diese Weiche einen zu geringen Radius hat. Die Ursache ist, dass auf die Lokführer, die genau darauf hingewiesen haben, nicht gehört wird.
Ach.
Wenn „wolkenstrahl” recht hat, wird die Bahn an dieser Stelle wohl mehr tun müssen, als nur zu reparieren, was kaputtgegangen ist. Sie wird die Stelle so zurückbauen müssen, wie sie vor der S21-Planung ausgesehen hat. Daß diese Planung insgesamt nicht taugt, wußten wir ja schon. Daß selbst die Gefahr von Entgleisungen mit allem, was dazu gehören kann — Umkippen der Waggons, Verletzte usw. — wissentlich in Kauf genommen wird (spätestens, seit Lokführer darauf hinwiesen), hat eine neue Dimension.
[Update 2012-10-28 14:28] Auch im Blog Schäferweltweit gibt es einen Beitrag dazu: Weiche 227 eine endlose Geschichte? [/Update]
16. Oktober 2012 at 18:37
Die Ursache (oder sagen wir besser: der Anlass) für die Entgleisung dürfte weniger die Weiche als solche sein, als die Abfolge enger Kurven in entgegengesetzten Richtungen in Kombination mit langen geschobenen Zügen. Will sagen: Die Entgleisung an dieser Stelle würde vermutlich selbst dann passieren, wenn es statt der Weiche ein durchgehendes Gleis gäbe.
Die wirkliche Ursache ist in den Bauarbeiten zu „Stuttgart 21“ zu sehen: Für die Baugrube wurden die Bahnsteige „nach draußen“ verlegt (d.h. von der Bahnhofshalle weg). Weil man die diversen Brücken und Unterführungen zu den angeschlossenen Strecken schlecht umbauen konnte, musste halt das Weichenfeld gestaucht werden, mit dem Ergebnis der engeren Kurvenradien, die etliche Eisenbahner eher an eine Konstruktion von Märklin als der DB erinnern.
16. Oktober 2012 at 19:31
@Valentin
Eben diese Stauchung sowie der Bauzustand und der damit einhergehenden Bauweichen führen zu engen Gleisradien, die mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h schwer zu befahren sind. Vor Ort herrscht eine so schlechte Gleisgeometrie, dass wir inzwischen mit weit weniger Geschwindigkeit durchrollen.
Normalerweise sind für gegenläufige Gleisradien Zwischengeraden vorzusehen, um die die Querbeschleunigungkräfte auszugleichen. Stattdessen beschuldigt man lieber die Lokführer, zu schnell gefahren zu sein, was letztlich nicht der Fall war. Aber wir Lokführer haben ja keine Ahnung.