Klimaanlagen fallen wieder aus
28. Juli 2012 um 19:42 Uhr
Sobald es im Sommer über 32 °C heiß wird (und das soll gerüchteweise gelegentlich vorkommen), fallen bei der Deutschen Bahn serienweise die Klimaanlagen aus (Bericht von 2010). Da die Bahn es offenbar seitdem nicht nötig hatte, an diesen Klimaanlagen nachzubessern oder neue einzubauen, passiert es nun eben wieder.
Das wirft die Frage auf, wie das gehandhabt werden soll, wenn so ein überhitzter Zug mit kollabierenden Fahrgästen in einem Tunnel steckenbleibt. Insbesondere die geplanten Tunnel für den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof sollen, was die Belüftung angeht, wohl noch nicht so das optimale Sicherheitskonzept (Wikipedia, Stand 2012-07-28 11:17) haben:
So führten die vorgesehenen trockenen Löschwasserleitungen dazu, dass bis zu 45 Minuten vergehen würden, bis Löschwasser am Ereignisort im Tunnel zur Verfügung stünde. Auch Möglichkeiten, die Tunnel und Fluchtstollen im Brandfall entlüften zu können, seien notwendig. Ein nachvollziehbares Evakuierungskonzept für den geplanten Tiefbahnhof fehle.
Dort angeführte Quelle: Markus Heffner: Feuerwehr kritisiert Konzept der Bahn. In: Stuttgarter Zeitung, 68. Jahrgang, Nr. 144, 25. Juni 2012, S. 17 — also sehr aktuell.
Das heißt: Steckt so ein überhitzter Zug im Tunnel fest, dann klappt die Luftzufuhr nicht richtig, und evakuieren kann man die Leute wohl auch nicht so wirklich. Dabei braucht man gar nicht einmal speziell auf Menschen mit Mobilitätseinschränkungen einzugehen, das betrifft dann nämlich alle. Bricht dann auch noch ein Feuer aus, was in einem überhitzten Zug gar nicht mal so unwahrscheinlich erscheint, dann sind die Toten vorprogrammiert.
Aber es geht nicht nur um die Situation in Tunneln. Ausfallende Klimaanlagen bedeuten Zugverspätungen oder -ausfälle und unter Umständen kollabierende Fahrgäste. Das klingt erstmal sehr trocken. Für den einzelnen Fahrgast kann das aber eine ganze Reihe von Folgen haben:
- Termine werden verpaßt (geschäftliche Treffen, Vorstellungsgespräch, Gerichtstermin …);
- Kreislaufprobleme bis zum Kollaps;
- Krankenhausaufenthalt mit Tagesgeldkosten von 10 € pro Tag und Arbeitsausfall
- … und von Todesfällen reden wir mal gar nicht.
Im Artikel von 2010 heißt es:
In einem Brief forderte EBA-Präsident Gerald Hörster den Bahnvorstand auf, seinen Pflichten nachzukommen. «Die Vorfälle geben hinreichenden Anlass zu der Annahme, dass nicht gewährleistet werden konnte, dass die Risiken für die Fahrgäste auf ein verantwortbares und rechtlich zulässiges Maß beschränkt geblieben sind», wird Hörster in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zitiert.
Rüdiger Grube ist seit 1. Mai 2009 Vorstand der Deutschen Bahn AG. Es ist also letztendlich seine Verantwortung, dafür zu sorgen, daß der Aufforderung der EBA nachgekommen wird. Und da kann er noch so oft „Börse, Börse!” schreien: Die Sicherheit und die Gesundheit der Fahrgäste haben Vorrang. Es wird Zeit, daß Herr Grube seine Hausaufgaben macht.
[Update 2012-07-31 14:56] Angeblich soll jetzt alles besser werden — allerdings wird nicht auf die Bedienbarkeit der Klimaanlagen eingegangen, sondern nur auf die Technik. Warten wir’s ab. [/Update]
29. Juli 2012 at 19:40
Mal unabhängig davon, dass ich Stuttgart 21 für Unfug halte und Grube Mehdorn deshalb ersetzt hat, weil der Bund sich von den Börsenplänen verabschiedet hat und Mehdorn das nicht mittragen wollte:
Die Klimaanlagen selbst sind fast immer technisch in Ordnung, die Hauptfehlerquelle liegt bei der mangelhaften Ausbildung des Personals bzw. dem wenig intuitiven Bedienkonzept der Klimaanlagen.
Zunächst einmal hat jeder Wagen seine eigene Klimaanlage – das ist oft schon daran zu erkennen, dass jeder Wagen eine andere Temparatur hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem ganzen Zug die Klimaanlagen aus technischen Gründen ausfallen, ist deshalb sehr gering. In den meisten bekanntgewordenen Fällen handelte es sich auch um ein, zwei Wagen.
Bis auf wenige Ausnahmen (Nahverkehrs-Triebwagen-Baureihe 425) sind die Klimaanlagen auch ausreichend dimensioniert. Beim ICE3 gab’s da zu Anfang Probleme, weshalb diese Züge nach Sommer 2003 größere Klimaanlagen erhielten – erkennbar an den eckigen Buckeln an den Wagenenden, die ursprünglichen Klimaanlagen schlossen bündig mit dem Wagendach ab. Die zweite Bauserie erhielt ein etwas strömungsgünstigeres Modell, das aber immer noch hervorsteht.
Wo liegt nun das Problem? Fehlbedienung. Die ausgefallen Klimaanlagen waren fast immer *zu*kalt* eingestellt. Abgesehen davon, dass bei 35° Außentemparatur eine Kühlung auf 16° ihre eigenen Gesundheitsgefahren mitbringt, sind die Anlagen dadurch schlicht überlastet. In einem vollen Eisenbahnwagen herrscht sehr schnell eine hohe Luftfeuchtigkeit. Wird diese Luft nun stark heruntergekühlt, dann kondensiert Feuchtigkeit in der Klimaanlage. Bei sehr kalter Einstellung kann sich dann Eis bilden, das die Luftkanäle verengt und die Belastung der Anlage zusätzlich erhöht. in diesem Fall ist eine Überlastung vorprogrammiert.
Lösen ließe sich das durch eine andere Steuerung der Klimaanlage oder – einfacher – durch eine bessere Schulung des Personals.
Zu den Katastrophenszenarios:
* Die Antriebs- und Bremstechnik ist von der Klimatisierung unabhängig bzw. hat ihre eigene Kühlung. Ein Ausfall von Klimaanlagen hat also keine Auswirkung auf die Wahrscheinlichkeit anderer Ausfälle.
* Ein Halt in Tunnels wird wann immer möglich vermieden. Dazu werden beispielsweise in Tunnels ab 500m Länge die Notbremsgriffe überbrückt und geben dem Lokführer nur noch ein Signal, nach Verlassen des Tunnels sofort anzuhalten. Falls es dennoch zu einem Halt im Tunnel kommt, greift ein Selbstrettungskonzept (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Selbstrettungskonzept )
* Wie schon erwähnt, überhitzt nicht der gesamte Zug, sondern der Innenraum einzelner Wagen. Zudem hat man in besetzten Wagen mit ausgefallener Klimaanlage durch den Schweiß der Fahrgäste sehr schnell Luftfeuchtigkeiten nahe 100%. Beides ist bei der Bewertung der Brandwahrscheinlichkeit zu beachten.
* In Tunnels herrscht eigentlich immer ein Luftzug. Neben den fahrenden Zügen ist hier zu beachten, dass längere Tunnels immer ein leichtes Gefälle haben, so dass Temperaturunterschiede für einen Luftzug entweder zum Tunnelausgang oder zu einem Lüftungsschaft am höchsten Punkt sorgen (Kamineffekt!)
Zusammengefasst: Für gesunde Fahrgäste sind ausgefallene Klimaanlagen zwar sehr unangenehm, aber eine Gefahr besteht nicht. Für gesundheitlich angeschlagene Fahrgäste beschränkt sich die Gesundheitsgefahr auf die Folgen der hohen Temperaturen.
15. Februar 2016 at 11:10
Um auch mal was positives zu melden:
Der letzte Sommer (also der 2015) war ja ein besonders heißer Sommer. Ich bin da mehrmals mit dem ICE gefahren (und auch ab und zu mit der Regionalbahn), und die Klimaanlagen haben immer einwandfrei funktioniert.
Keine Ahnung, ob ich da einfach Glück hatte oder ob da was verbessert wurde.